Selbstmord ist (k)eine permanente „Lösung“ für ein vorübergehendes Problem.
Warum manche Menschen nicht mehr leben wollen oder sich wünschen, es nicht mehr zu müssen, erfahren Angehörige von suizidgefährdeten Personen nur, wenn die Zeichen früh genug erkannt wurden und das Ruder gerade noch rechtzeitig herum gerissen werden konnte, indem man sich dem / der Gefährdeten angenommen, Gespräche mit ihm / ihr geführt und gemeinsam eine Lösung mit professionellen Therapeuten in Angriff genommen hat.
Manchmal können alle Bemühungen, einen Menschen davon abzuhalten, sich das Leben zu nehmen allerdings auch nur eine Verschiebung auf Zeit bedeuten. Egal, was man unternimmt, ein einziger Augenblick kann der Auslöser sein, dass lange Geplantes in die Tat umgesetzt wird.
Dass Helmut ernsthaft Selbstmord gefährdet war, bekamen wir als Kinder und Jugendliche im Grunde genommen nicht mit; umso tiefer und größer war der Schock, als es schließlich passierte und wir von Mama die Wahrheit erfuhren.
Wir verschliefen im wahrsten Sinn des Worte die vielen Nächte, in denen Mama und Helmut auf irgendeiner Münchner Brücke saßen oder ziellos durch die Gegend fuhren, stundenlange Gespräche führten und – zumindest dieses Mal wieder – gemeinsam nach Hause gingen.
Ok, vielleicht waren wir noch „zu klein“ oder „zu jung“, um das wirklich verstehen zu können – mein Bruder auf jeden Fall, aber ich war bereits ein Teenager, während wir mit Daddy zusammen lebten und fast 19, als er sich dazu entschloss, uns alleine zu lassen.
Wer von sich behauptet, er habe noch nie Sätze wie: „Ich kann nicht mehr!“, „Ich mag nicht mehr!“, „Am liebsten würde ich einfach alles hin schmeißen und ‚abhauen‘!“ von sich gegeben, ist entweder ein Neugeborenes oder will nicht zugeben bzw. sich selber eingestehen auch mal schwach zu sein, kraftlos sein zu dürfen.
Jede/r hat oftmals gute Lust alles einfach hinzuwerfen, seine Sachen zu packen und ganz weit weg zu gehen – oder gar sein Leben zu beenden; Letzteres bleibt – zum Glück! – oft reine Theorie.
- Kein Chef, der einem ständig im Nacken sitzt und das Gefühl gibt, dass alles was man macht nicht seinen eigentlichen „Erwartungen“ entspricht!
- Kein Partner mehr, der einem seit Tagen (Wochen oder Monaten) auf den Geist geht, von dem man sich ungeliebt und unverstanden fühlt, der einen vielleicht sogar betrogen und belogen hat – aber man kommt, warum auch immer, auf die „übliche“ Weise nicht von ihm los!
- Keine Freunde mehr, die sich nur dann an einen erinnern, wenn sie was benötigen, aber ansonsten keine Zeit und vor allem Geduld haben, wenn man selbst einfach nur jemanden zum Reden, zum sich Ausheulen braucht!
- Keine ständigen Absagen bei der Jobsuche mehr, obwohl man sich die Finger wund schreibt, die eigentlich beste Bewerbung der Welt abgibt!
- Kein, sich beim Sozial- oder Arbeitsamt mehr anstellen und sich wie der letzte Versager, der „Abschaum der Menschheit“ fühlen müssen!
- Keinen Stress mit den Eltern, weil die Note die man für eine Arbeit erhalten hat, nicht dem „Wunsch“ der Eltern entspricht!
- Kein ewiges Abgewiesen werden mehr, von einem (oder mehreren) Menschen, für die man mehr empfindet als nur Freundschaft!
- Kein Außenstehender mehr sein müssen, weil man den durch die Medien vorgegebenen Schönheitsidealen nicht entspricht!
- Keine Häme mehr über sich ergehen lassen müssen, weil man (wieder) einen menschlichen Fehler begangen hat!
Kein Dieses, kein Das, kein Jenes, kein Nichts! Einfach nur Ruhe und Frieden!
Wer sich ernsthaft damit auseinander setzt, seinem Leben ein Ende zu setzen, ist kein „Ich-bring-mich-mal-eben-aus-Spaß / Trotz-um-um-zu-sehen-was-dann-passiert“-Typ und hat auch nichts mit emotionaler Erpressung zu tun. In der Regel sind Suizid-Gefährdete eher ruhige, sehr nachdenkliche, in sich gekehrte Menschen.
Dabei spielt es keine Rolle, welchen Stand in der Gesellschaft sie haben:
- Es kann der Jugendliche gewesen sein, der immer höflich und zuvorkommend war, ein scheinbar guter Schüler und hilfsbereiter Freund, überall und von Allen geschätzt und geachtet oder aber vielleicht auch als der letzte Loser geltend – was ihn wirklich bedrückte, hat keiner bemerkt – nicht mal seine Eltern.
- Die nicht dem „Standard“ oder „Schönheitsideal“ entsprechende, zu pummelige Jugendliche, die auf dem Weg zur Schule, auf dem Schulhof und auf dem Nachhauseweg ständigen Hänseleien ihrer Mitschülern ausgesetzt ist.
- Die / Der liebevolle und fürsorgliche Mutter / Vater? Nach Außen eine starke Frau / ein starker Mann, die / der es scheinbar problem- und sorgenlos verstand, Kinder, Alltag, Beruf und noch ein bisschen Zeit für sich unter einen Hut zu bringen.
- Der Manager, der super erfolgreich die Firma leitete – keine Verluste schrieb, das Unternehmen zu immer mehr Gewinn brachte – welchen Preis er dafür wirklich zahlte, interessierte keinen, der muss ja nicht in die Geschäftsbücher eingetragen werden.
- Die alte Frau / Der alte Mann, die/der seit Wochen, wenn nicht sogar Monaten auf einen Anruf von ihrer / seiner Familie wartet, damit auch sie / er einmal Besuch bekommt, die Enkel herzen kann – aber: mit alten Leuten ist ja „nichts mehr anzufangen“.
- Die nette Dame / Der nette Herr von nebenan, der / die vor kurzem seinen Ehepartner verloren hat und nun nicht mehr weiter weiß, sich vor dem allein sein fürchtet.
- Ein erfolgreicher, angesehener Sportler, der trotz schwerem Schicksalsschlag fest im Leben zu stehen scheint.
Oder bist vielleicht DU, die / der gerade diese Zeilen liest möglicherweise die / der Nächste, weil dir als einziger Kontakt zur Außenwelt dein PC zur Verfügung steht? Weil Du ein Leiden hast, das Dich daran hindert, am Leben außerhalb von Bits und Bytes teilzunehmen? Weil Du von irgendwem über einen langen Zeitraum immer wieder eingeredet bekommen hast, Du würdest ohnehin zu Nichts taugen? Weil Du ein, Dich stark belastendes Erlebnis hattest, das Dich verzweifeln lässt?
Sicher gab es eine Zeit im Leben derer, die von Todessehnsucht geplagt wurden / werden, die gut war und wirklich Spaß machte. Nur: warum hat es sich gewandelt und vor allem: Wo ist sie hin?
Der Großteil suizidgefährdeter Menschen bzw. diejenigen, die den letzten Schritt auch wagen, leiden an Depression.
Hervorgerufen durch eine Krankheit, gesellschaftliche Ausgrenzung, Mobbingattacken ohne Aussicht auf ein Ende, nicht fertig werden mit traumatischen Geschehnissen, ständige Erniedrigung und Misshandlung in einer Partnerschaft und viele Ursachen mehr, bringen Menschen dazu, nicht mehr da sein zu wollen.
An Alle, die sich wünschen, morgen nicht mehr aufwachen und sich dem Alltag stellen zu müssen: auch wenn ihr es jetzt im Moment nicht sehen oder wahrhaben wollt, doch bevor ihr euer wertvolles Leben „an den Nagel hängt“ sucht euch Hilfe in Form von sehr guten Freunden, Fach-Therapeuten, Selbsthilfe-Gruppen oder -Foren und lasst euch von Niemandem einreden, dass ihr nicht mehr alle Tassen im Schrank habt und euch „halt zusammen reißen“ sollt.
Ihr Alle seid es wert beachtet, ernst genommen und geliebt zu werden!
ALLERDINGS: Ihr müsst es Euch und den Anderen gegenüber auch eingestehen und zugeben, dass Eure Seele krank ist und Ihr Hilfe braucht!
Ich weiß, es ist oft leichter gesagt, als getan. Dieser Schritt ist vielleicht schwerer, als „mal eben zu gehen“, doch wenn ihr diesen Punkt erreicht habt, werdet ihr merken, dass das Leben wirklich l(i)ebenswert ist.
Kindern und Jugendlichen, die unter dem Erfolgsdruck ihrer Eltern zu ersticken drohen: Lasst Euch von den Großen doch mal die eigenen Zeugnisse und Verdienste in Form von Medaillen, Urkunden usw. zeigen! Wie waren deren Noten damals? Welche selbst erreichten Erfolge können sie vorweisen? Haben sie überhaupt das Recht oder die Berechtigung, von Euch das abzuverlangen, was sie unter Umständen selbst nie geschafft haben?