Rückblick: Ich bin 19 Jahre jung, Daddy ist seit über einem Jahr tot und ich führe ein – soweit wie möglich – eigenständiges Leben. Ich musste mit meinen beiden Katzen zum Tierarzt.
Von der MAN, bei der ich damals lernte, fuhr ich zu meiner Mutter das Auto holen, damit ich mit meinen Samtpfoten nicht die Öffentlichen benutzen musste.
Auf dem Weg von meiner Mutter zu mir, fuhr ich das erste Mal über diese Stelle. Auf dem Weg von mir zum Tierarzt und zurück, das zweite und dritte Mal. Zurück zu meiner Mutter, das Auto wieder abgeben, das vierte Mal.
Bei Mum hielt ich mich noch einen kurzen Moment auf und wollte dann mit dem Bus zurück nach Hause.
Als ich zur Haustür raus ging, sah ich meinen Bus kommen, doch irgendwie hatte ich überhaupt keine Lust zu laufen – es wären keine 100m gewesen, ein kurzer Spurt und ich hätte keine weiteren 20 Minuten auf den Nächsten warten müssen.
Doch irgendwie verspürte ich ein ‚Leck Arsch‘-Gefühl: ich hatte keine Lust zum Rennen. Warum auch? In „bereits“ 20 Minuten würde wieder einer kommen.
Im nächsten 192er setzte ich mich an meinen ‚Stammplatz‘: ganz hinten, ans Fenster – noch mal etwa 20 Minuten, ein bisschen Fußmarsch und ich bin Zuhause! … Eigentlich.
Ich wurde stutzig, als der Bus nicht die gewohnte Strecke fuhr, sondern am Anfang von Trudering abbog – seitens des Fahrers durfte ich meine Ausstiegstelle selbst bestimmen und musste den Weg zurück zum Bahnhof laufen. Noch kurz unter dem S-Bahnhof durch, letzte fünf Minuten gehen … Eigentlich.
Ich kam auf den Bahnhof zu und hatte eine völlig irreale Optik, die ich im ersten Moment nicht wirklich zuordnen konnte, obwohl ich sowas bei der MAN fast jeden Tag zu sehen bekam: den Unterboden eines schweren Fahrzeugs – den vorderen Teil des Unterboden eines Linienbusses, meines Busses!
Völlig ungläubig, beinah tranceartig, ging ich darauf zu – überall blinkte und blitze es.
Ich unterhielt mich kurz mit einer Polizistin, die mir erklärte dass es hier überhaupt kein Durchkommen gäbe und ich komplett außen rum nach Hause laufen müsse.
Ich konnte erst mal keinen Meter mehr gehen, sondern starrte nur noch auf den Bus, dessen Heck in die Straße abgesackt war – mein Bus, den ich hatte sausen lassen.
Mein Bus, dem ich nicht noch eben schnell hinter her gerannt war! Mein Bus, in dem ich nicht meinen Stammplatz eingenommen hatte!
Mein Null-Bock-zum-Rennen, mein ich-lass-mich-nicht-hetzen, meine Faulheit (wenn man es – erst mal – so nennen möchte) hat mir das Leben gerettet!
Endlich zuhause angekommen, schaltete ich den Fernseher ein – das Telefon klingelte Sturm. Mama!
Ich saß auf meinem Bett (ich hatte damals nur ein Apartment) und starrte auf den Bildschirm – erst nach und nach wurde mir die Tragweite des Geschehens und mein unglaubliches Glück bewusst.
Das Zeitungsbild (Fotograf: Th. Gaulke) hatte ich all die Jahre im Original in meiner Nähe. Dieses hängt nun schon einige Jahre laminiert im Flur meiner Wohnung; Eines auf Scheckkartengröße verkleinert trage ich in meinem Geldbeutel und Eines klemmt an der Sonnenblende in meinem Auto, damit es mich Jederzeit und Allerorts daran erinnert: Schnell, schnell kann man sterben!
Ich bin wahrscheinlich einer der ganz wenigen Menschen, den Nichts und Niemand mehr so schnell aus der Ruhe bringt und für den Fünf im Allgemeinen eine ungemein gerade Zahl sein kann – wer diese Geschichte kennt, weiß warum.
Und ich bin mir sicher, auch wenn mich Viele immer wieder gern als verrückt abstempeln wollen: nicht „Gott“ sondern Helmut hat mir durch meine damalige Gelassenheit ein (weiteres) Zeichen gegeben und somit das Leben gerettet – Danke Daddy!!
*in diesem Sinn*
Sandra