Dienstag, 22.04.2008
Gestern Vormittag erreichte mich der Anruf eines Kunden, ob ich als Ersatzfahrer zur Verfügung stünde oder ob ich bereits verplant sei – ich war frei.
Mein Auftraggeber fragte, ob ich einen Fahrer namens Tobias S. kennen würde – sicher kannte ich ihn!
Tobias war mein einzig ernst zu nehmender, ebenbürtiger „Konkurrent“ in der hiesigen Ersatzfahrerbranche und auch ein sehr angenehmer Mensch – noch vor zwei Wochen hatte ich ihn im Rahmen unserer Beider Aufträge kurz getroffen und mit ihm gesprochen. Ich hatte zwar das Gefühl, dass er sich gerne länger mit mir unterhalten hätte, doch leider ließ das vor allem mein Einsatz nicht zu.
Was ich dann zu hören bekam versetzte mir einen Schlag in die Magengrube: Tobias hatte sich Sonntagnacht erhängt und nun sollte ich sein Ersatz sein!
Stück für Stück erfuhr ich in dem Telefonat, bei der Rückholung des Lkws und meines heutigen, ersten Einsatztages als ‚Ersatz‘ die Hintergründe seiner Verzweiflungstat sowie die letzten Stunden seines Lebens – er muss irre alleine und verzweifelt gewesen, sich verlassen, verraten und verkauft gefühlt haben, als er diesen Schritt machte.
Den ganzen, gestrigen Tag war mir kotzübel und auch wenn Tobias „nur“ mein Kollege war, war an Essen gar nicht zu denken.
Neben zig Gedanken und Déjà-Vu’s schwirrte mir durch den Kopf: Wäre es vermeidbar gewesen, wenn ich mir ‚damals‘ nur ein wenig mehr Zeit für ihn genommen hätte? Wenn ich meinem Gefühl und nicht dem Zeitdruck gefolgt wäre?
Doch nicht nur ich stell(t)e mir Fragen in diese Richtung, sondern natürlich auch die Menschen, die Tobias noch wenige Stunden vor seinem ‚Abschied‘ getroffen und gesprochen hatten – wir Alle werden nie mehr eine Antwort darauf bekommen.
Besonders hart hat es einen mir unbekannten Kollegen getroffen: er hatte sich am Samstag noch mit Tobias auf ein Bierchen getroffen und hierbei hat sich Tobias ein wenig über seine Probleme geäußert – mit dem Schlusssatz (in Etwa wieder gegeben): ich hab die Schnauze so voll, ich nehm mir ’nen Strick!
Der Kollege hat diese Aussage nicht auf die Goldwaage gelegt – seien wir mal ehrlich: Jeder von uns hat irgendwann mal in seinem Leben einen Moment, in dem er sich so oder so ähnlich äußert… und es bei den Worten belässt – das Leben geht weiter! Egal, ob und welche Scheiße es noch für uns bereit hält! Als dieser Kollege dann am Montag von Tobias‘ Selbstmord erfuhr, war er kurz davor zusammen zu brechen.
Ich möchte im Andenken an Tobias S. und meiner ganz persönlichen Trauer um ihn nicht auf die Einzelheiten eingehen, welche ihn in den Freitod trieben, sondern euch eher zum Nachdenken anregen, wie man sich oft – unbewusst, von der allgemeinen Welt oder aufgrund der eigenen Momentansituation dazu verleitet – seinen (angenehmen!) Mitmenschen ggü verhält, mit ihnen umgeht, sie behandelt.
Tobias war ein recht ruhiger Mensch.
Wie ich, hatte er es im Gegensatz zu sehr vielen anderen Fahrerkollegen nicht nötig, mit großen, klugen Sprüchen sein Wissen und Können als Kraftfahrer zu hausieren. Wie ich, war er kein Herdenmensch, der nur in einer gewissen Gruppe etwas zu sein schien. Wie ich, suchte er sich die Menschen selbst aus, mit denen er mehr als ein ‚Hallo.‘ oder ‚Tschüss.‘ wechselte.
Zwischen Tobias und mir bestand kein Konkurrenzdenken oder gar ein solcher Kampf – jeder hatte seine Kunden und Einsatzgebiete, manchmal waren es auch die Gleichen – wie zu Beginn meiner beruflichen Selbstständigkeit, er hatte ca. ein halbes Jahr ‚Vorsprung‘.
Da hatten wir auch oftmals noch mehr Zeit, uns zu unterhalten, auszutauschen, zusammen zu lachen, gemeinsam über Manches zu ’schimpfen‘ oder über die „Supertrucker“ abzulästern – wir konnten einfach Menschen sein. Und vor allem das, wird mir persönlich in Bezug auf Tobias fehlen.
Heute musste ich vielen Leuten ‚bestätigen‘, dass es stimmte was sie gehört hatten und ich erschrak immer wieder, dass so ziemlich Alle, die mich auf ihn ansprachen, durch die Bank nicht einmal seinen Vornamen kannten!
Andere wiederum versuchten ihre eigene Unsicherheit mit „Scherzen“ oder wirklich blöden Fragen zu überspielen: Wo ist denn heute der Kollege? Stimmt es, was ich gehört habe? …. Hallo?!
Auch kam der Spruch auf: Ich hab gehört, er hat sich wegen dir erhängt, stimmt das?! War nur ein Scherz! (*was haben wir gelacht…*) Ich denke, man muss mich nicht zwingend persönlich kennen, um sich vorstellen zu können, wie ich darauf reagiert habe.
Der Freitod von Tobias hat mir mal wieder Anlass zum tieferen Nachdenken gegeben.
Ja, es stimmt: man kann kein Retter der Welt sein, denn man sieht in die Menschen nicht hinein, wenn diese sich nicht wirklich offenbaren und anvertrauen – und sei es „nur“ ein Arbeitskollege. Doch man sollte es versuchen, wenn man einen Funken lang das Gefühl hat: da könnte was im Argen sein.
[(Ganz viele Punkt, Punkt, Punkt) Und Kerle kriegen die Zähne ohnehin so gut wie nie von sich aus auseinander, wenn’s darum geht Schwäche zu zeigen, Hilfe zu brauchen!]
Persönlich empfinde ich das Geschehene, als hätte mir jemand einen Spiegel vorgehalten, um mir meine ‚Ignoranz‘ vor Augen zu führen – meine ‚Ignoranz‘ in Form, dass ich mir damals nicht mehr Zeit für Tobias‘ und ein Gespräch genommen habe. ‚Ignoranz‘ ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort, doch mir fällt im Augenblick kein Besseres ein.
Nein, ich mache mir keine großartigen hätte-ich-nur-Vorwürfe.
Aus der Erfahrung durch Daddys Suizid und dem Aufbau dieser Website kann ich heute besser damit umgehen, wenn sich ein Mensch aus meinem Umfeld dazu entschließt, seinem Leben ein Ende zu setzen.
Ich brauche einfach nur meine Zeit, das Geschehene zu verarbeiten, neue Einsichten zu gewinnen und mein Leben danach entsprechend (um) zu gestalten.
Wie ich bereits mehrfach auf Daddys-Gedenkseiten geschrieben habe: Es ist keine Schande mal schwach zu sein und / oder Hilfe zu benötigen und ganz offen dazu zu stehen.
Mir persönlich geht es momentan den kollegialen Umständen entsprechend (ich mag gar nicht daran denken, wie sich Tobias‘ Familie fühlt) und jeder, der ein strahlendes Gesicht von mir erwartet (so kennt man mich ja….) wird sich gedulden müssen.
Ich sage ganz offen, warum ich zur Zeit nicht wirklich Lächeln kann und ich stehe auch dazu: mein Arbeitskollege und Mitstreiter Tobias fehlt mir und die Art seines Verlustes hat mich etwas unter Schock gesetzt! Punkt, Aus, Ende.
Ich würde mir wünschen, dass Jeder, der diese Zeile gelesen hat, sich einen kurzen Moment zurück lehnt und in sich geht.
*in stiller Trauer, Gedenken und Anteilnahme*
Sandra