Danke Daddy – Deine Tochter (Teil 2)
Es tut weh, über die wahren, persönlichen Hintergründe, über die Gedanken, die im Moment seines Freitodes in ihm vorgegangen sind, nur spekulieren zu können und nie mehr eine persönliche Antwort auf das „Warum??“ zu bekommen.
Es tut verdammt weh, die Chance verpasst zu haben, einem Menschen, den man so geliebt hat und es immer noch tut, nicht mehr (oder zu wenig?) gesagt zu haben, wie viel er einem bedeutet.
Die Trauerfeier erlebte ich wie in Trance: ich stand zwar in dieser Aussegnungshalle, sah auch den aufgebahrten Sarg, ließ das „Palaver“ über mich ergehen, doch ich wollte es nicht wahr haben: in dieser kleinen Holzkiste konnte unmöglich mein Dad drin sein! Niemals!
Irgendwann dachte ich mir: So, Daddy, bist du nun zufrieden?! Siehst du jetzt endlich, wie viele dich lieben, dich brauchen und um dich weinen?! Komm jetzt gefälligst hinter dem Vorhang hervor, setz dein Lausbuben-Grinsen auf und ruf ganz laut: „April, April!“ – er kam nicht.
Ich hatte mein erstes Dirndl an, welches ich zur Hochzeit von Mutti und Helmut bekommen hatte. In diesem Kleid hatte ich Daddy sozusagen in der Familie Willkommen geheißen, bayrische Tradition zu pflegen war ihm wichtig, in ihm wollte ich ihn auch verabschieden. Ich habe es danach nie wieder getragen.
Helmut war mein großes Vorbild, ich wollte unbedingt in seine Fußstapfen treten: Lkw-Fahrer werden. Und obwohl mir in spieß-konservativ Bayern zahlreiche Steine in den Weg gelegt wurden (für bäh-yrische Verhältnisse hatte ich schlicht zu wenig männliche Gene, um einen Geschlechter untypischen Beruf praktisch auszuüben), ging ich meinen Weg.
Nach Daddys Tod war ich erst mal einige Wochen out of order. Ich hatte täglich mit der S-Bahn zu fahren, das war zu viel für mich. Innerhalb dieser Zeit magerte ich um 10kg ab; täglich 3 Schachteln Zigaretten und Baldriantabletten waren wohl doch nicht so die handfeste Nahrung.
Ja, es gab eine rauchfreie Zeit, da war meine kleine Welt auch noch in Ordnung: ich hatte einen Vater, an dem ich mich orientieren konnte, eine Familie und einen 100%igen Partner – alles war Bestens.
Mein Vater nahm sich das Leben, ohne dass ich es verhindern konnte und von meinem Freund trennte ich mich kurz darauf, da er sich charakterlich immer mehr in Richtung ehemalige Nachbarin veränderte.
Von gewissen Leuten, von denen ich glaubte, sie würden mich verstehen und auffangen, kam mir eine Ignoranz entgegen, die ich bis heute weder verzeihe, noch vergesse und es auch nie werde! Ich hatte sehr lange Zeit große Schwierigkeiten, mich Anderen gegenüber zu öffnen und über diese Wunde zu reden.
Durch mein Verhalten, welches ich als Einziges sehr lange Zeit nach Außen hin trug (Härte, Kälte, arrogante Ignoranz, überhebliches Desinteresse) und die dicke Mauer, die ich um mich gebaut hatte, geriet ich schnell in ganz bestimmte Schubladen – doch das war mir Alles so scheißegal.
Hauptsache: Keiner kam an mich heran, mit Niemanden musste ich mich mehr als „unbedingt nötig“ einlassen. So konnte ich wenigstens keine Gefühle entwickeln und brauchte keinen schmerzlichen Verlust mehr zu fürchten / erleben. Doch konnte dies wirklich Sinn des Lebens, meines Lebens, sein?!
Als ich es schließlich wagte, mich zu öffnen, erfuhr ich Verständnis und bekam das Gefühl, ja sogar die Sicherheit vermittelt, nicht alleine zu sein – besonderen Dank an meine ehemaligen Arbeitskollegen Roger & Nicole!
In der Zeit meiner Arbeitsunfähigkeit fasste ich den Entschluss, meine Lehre zu schmeißen und bewarb mich beim Schlecker-Konzern im Einzelhandel.
Das Vorstellungsgespräch kam allerdings nie zustande, da die Chefin just an diesem Tag einen (leichten) Unfall hatte – okay Dad, hab’s ja verstanden, ich zieh die Lehre ja durch! (…)
Während meiner halbjährigen Gesellenzeit machte ich den Lkw-Führerschein und etwa ein Jahr später war ich unterwegs: auf den großen Brummis, national und international.
Bei einer meiner Pausen auf einem dieser Rasthöfe , begegnete ich einem Fahrer und auf den allerersten Blick hätte ich schwören können: das war Helmut!! *SCHLUCK*
Auf der einen Seite hatte ich sehr mit mir zu kämpfen, Dad und ich hatten das ganz anders geplant: als kleines Familienunternehmen wollten wir beide fahren, Mum ins Büro „stecken“ und meinen Bruder später ebenfalls dazu holen. Auf der anderen Seite aber war ich stolz und zufrieden, weil ich das Gefühl hatte, es für uns beide zu tun.
Ich bin davon überzeugt, dass er – so blöd, wie das klingen mag – oft bei mir war, mir geholfen oder mich gewarnt hat.
Es gab sehr viele Situationen, in denen ich gerne in sein Gesicht gesehen hätte, aber ich kann es mir nur einreden, dass er stolz auf mich war.
1993, wenige Monate nach Papas Tod, haben wir noch mal versucht Weihnachten zu feiern – allein schon, um für meinen kleinen Bruder (mein Kronjuwel, gerade mal 10 Jahre jung) so normal wie möglich zu leben, weiter zu machen…
Es wurde ein Fiasko: während mein Bruderherz seine Geschenke auspackte, lagen Mum und ich uns weinend in der Küche in den Armen. Wir haben Weihnachten im allgemein bekannten Sinn aus dem Kalender gestrichen.
Man bleibt zurück mit einem Riesenloch in sich, das nicht einmal die Zeit wirklich füllen kann.
Mit das Schlimmste nachfolgend war: sooo viele Menschen wussten sooo viel, waren sooo unglaublich schlau, doch im Endeffekt nur armselige Kreaturen ohne Sinn und Verstand!
Der Verlust hat uns mehr als genug getroffen, aber nein, wir standen zudem allen möglichen Anfeindungen und Verleumdungen gegenüber, von Menschen, die sich mal als „Freunde“ und auch „Familie“ betitelten… Was ich diesen Leuten wünsche, werde ich hier jetzt nicht näher ausführen.
Ich habe es mir abgewöhnt, auf „den richtigen Zeitpunkt“ zu warten – es gibt ihn sowieso nicht!
Wenn ich jemandem etwas (egal was) sagen möchte: es muss raus! Und zwar so schnell und gleich, wie irgendmöglich! Ich warte nicht mehr auf „Morgen“ oder „nächste Woche“ oder „die Tage mal“, denn da könnte es schon zu spät sein. Heute lass ich Menschen eher und mehr als „vorher“ wissen: Ey, ich kann dich wirklich gut leiden! Und meine Familie – Mutti & Bruderherz – bekommt um einiges öfters gesagt / geschrieben: Ich hab euch sehr lieb!
Wann hast DU das das letzte Mal gemacht?!?
Nach der Zeit der Tränen und der tiefen Trauer bleibt die Erinnerung.
Die Erinnerung ist unsterblich und gibt uns Trost und Kraft.