Danke Daddy!

Danke Daddy – Deine Tochter

Helmut ist am Leben zerbrochen, weil er es als Kind, als Jugendlicher und junger Erwachsener leider nie erleben durfte, was wirkliche Liebe und Zusammenhalt in einer Familie bedeutet.

Er hatte immer das Gefühl vermittelt bekommen, dass – egal, was er machte – es falsch war, er nichts taugte, nichts wert war; dieser rote Faden verfolgte ihn, bis er ihn selber durchschnitt.

Daddy trat gegen Ende 1988 in unser Leben.

Klar, am Anfang hatte jeder von uns seine Schwierigkeiten, sich mit der neuen Familiensituation anzufreunden: Helmut kam in eine eingespielte Familie, mit – für deren Alter – sehr selbständigen Kindern und wir junges Gemüse hatten „Panik“, dass da auf einmal jemand war, der uns unsere Mutti weg nehmen wollte! Wie Kinder halt so denken.

Mama und Helmut hatten gegen viele böse und mächtig dumme Zungen zu kämpfen: Ein junger Mann, der sich von einer Frau mit drei Kindern einfangen ließ – das konnte doch nichts werden! Aber ich will hier und jetzt behaupten: erst bei uns konnte Helmut wirklich Mensch sein!

Bei uns durfte er zum ersten Mal in seinem Leben wirklich atmen, ohne Angst haben zu müssen, dass es falsch war, dass er womöglich wieder nur ausgenutzt und weg geworfen wird!

Ich kann Daddy hier nur aus meiner erlebten Sicht erklären und ich übertreibe sicher nicht, wenn ich sage: er war ein toller Mensch und, wenn auch nicht der leibliche, ein wunderbarer Vater! Mit all seinen Stärken, Schwächen und Fehler – wer hat die nicht?!

Helmut konnte begeistern, überzeugen, war in seinen Möglichkeiten immer hilfsbereit, sehr selten kam ein lautes Wort über seine Lippen und wenn doch, dann war es wirklich angebracht.

An eine Szene erinnere ich mich besonders gerne und vor allem genau – das war wohl auch der Zeitpunkt, an dem ich mir sagte: „Ja, das ist wirklich dein Vater!“

Helmut hatte ein Motorrad, eine für mich damals recht schwere BMW, welche er immer neben der Litfass-Säule vor dem Haus abstellte und der Plakatierer jedes Mal zur Seite schob, wenn er neue Plakate kleben musste. Einmal schob ich sie von der Hausmauer an die Säule zurück – es ging gut.

Das zweite Mal jedoch, kam ich aus diesem Punkt heraus und die Maschine kippte zur Seite, der Spiegel und die Scheibe überstanden diese Aktion nicht.

Von meinem Erzeuger kannte ich nur Aggression und Gewalt. Ich hatte eine solche Angst, Helmut gegenüber zu treten und ihm meinen Bockmist zu beichten, dass ich Mum darum bat, dies für mich zu übernehmen, aber sie weigerte sich. Klar, man muss lernen, für seine Fehler selbst gerade zu stehen.

Ein Clown weint am Schönsten, weil er immer lacht.

Oh man, hatte ich Muffesausen! Und so – im Nachhinein – gesehen wäre es auch mehr als feig und unfair gewesen, Mutti für meinen Mist unter Umständen büßen zu lassen. Sie hatte von meinem Erzeuger, eine wirklich widerliche Kreatur (die leider erst Anfang 2009 endlich hopps ging) mehr als genug Schläge und Erniedrigungen – vor meinen Augen! – einstecken müssen, bis sie endlich die Kraft aufbrachte ihn zu verlassen; ich war gerade mal fünf Jahre jung.

Am gleichen Abend, die Bruchstücke hinter dem Rücken versteckt, nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und ging auf Helmut zu.

Stotternd, stockend und mit Tränen in den Augen gestand ich ihm, was ich „angestellt“ hatte, erwartete schon das größte Donnerwetter aller Zeiten…. Daddy sah mich an, dann die Teile, die ich nun vor mir hielt, dann wieder mich … lächelte, nahm mich in den Arm und sagte: „He, ist doch nicht so schlimm! Das kann jedem passieren! Klar, ist es ärgerlich, aber du bist so ehrlich, wie kann ich dir da böse sein?!“ Ja, das war Helmut! Ehrlichkeit und Offenheit waren ihm das Wichtigste.

Man konnte Mist gebaut haben, wie man wollte – solange man dazu stand, war alles halb so wild, aber wehe, man versuchte, seine Verfehlungen zu verheimlichen und sie kamen dann doch irgendwann und irgendwie ans Licht … oh oh!

Es gab auch nie ein „Ich hab keine Zeit.“, „Ich hab keine Lust.“ oder „Ich kann jetzt nicht.“, wenn man ihn um Hilfe bat, Helmut war immer für Alles und Jeden da, aber leider bat er nie wirklich um Hilfe bzw. brauchte keine.

Er hatte es nun mal von klein auf eingeflößt bekommen: ein Mann hat stark zu sein, hat weder Schwächen zu haben, noch sie zu zeigen – was ein (h)ausgemachter Scheiß!

Für ihn war es sicher unglaublich schwer: er hatte Gefühle, Sorgen, Ängste, Probleme wie jeder Mann / Mensch, aber die Erziehung, nicht dazu stehen zu dürfen.

Und als er sie endlich – bei uns – zeigen durfte, ja sogar „musste“, konnte er es nicht. Er traute sich nicht, weil er es nie gelernt hatte, weil er Angst hatte, wieder was falsch zu machen, wieder schwach zu sein – was muss das für ein Teufelskreis gewesen sein?!?!

Wir Kinder haben natürlich auch manche Sachen gar nicht mitbekommen – ich erfuhr sie erst viel später von Mum, als es leider schon zu spät war und ich Daddy nicht mehr helfen, es nicht einmal mehr versuchen konnte.

Besonders schmerzt es mich, dass ich es ahnte.

Eine innere Unruhe sagte mir, dass etwas Schlimmes geschieht, aber ich konnte es zu diesem Zeitpunkt noch nicht „zuordnen“: Daddy „verabschiedete“ sich an einem Montagmorgen. Ich erfuhr von Mum aber bereits am Sonntag, was passiert war: Papa wurde der Führerschein wegen Trunkenheit am Steuer genommen und er machte sich arge Gedanken, wie er es seinem neuem Chef beibringen sollte. Mum hatte ihn allerdings soweit beruhigt, dass er sich der Sache am nächsten Tag stellen wollte und es sicher eine Lösung gibt.

Ich dachte mir noch: Ruf ihn noch mal an! Sprich mit ihm! Sag ihm, dass er sich keinen Kopf zu machen und er keine Angst zu haben braucht! Dass er nicht versagt hat…. Dass das Jedem passieren kann!Dass ich ihn sehr lieb habe! – Aber ich tat es nicht. Er hatte sich hingelegt, ich ließ ihn schlafen … Letztendlich für immer.

Der Mensch geht; die Erinnerung an ihn bleibt für immer
in unseren Herzen.